Texte und Gedanken

Alles ist noch da/Fynn Kliemann

Weil man Geld nicht essen kann

2G

Zur Reaktion auf "#allesdichtmachen"

systemrelevant - ein wort

Gleichgewicht und Logik (ein einkauf in zeiten von corona)

Zum Glück gibts BTS

Integration durch Kunst

Rede am 21.6.2018 anlässlich einer Demo gegen die AFD



Alles ist noch da

Wieso übertönt das Geschrei der Schreier immer das Gute, als hätte es das nie gegeben?

Und wieso heißt die „Yellow Press“ so, wie sie heißt? Ich glaube deshalb, weil man ihr die Gelbe Karte zeigen kann. Für hohle Worte unter dummen Schlagzeilen.

Ich sehe allerdings Rot, weil alles gelb ist...

Dabei möchte ich eigentlich nur wissen, wie es Fynn Kliemann zur Zeit geht. Auch wenn man sich das ja denken kann. Trotzdem hoffe ich, zu erfahren, dass er den Shitstorm überlebt. Ich suche nach beruhigenden Anhaltspunkten.

Doch alles, was ich dann lese, höre, sehe, weiß ich schon längst. Wenn man überhaupt behaupten kann, darüber etwas zu wissen.

Es sind nur immer wieder neue Worte, die mit halben Informationen spielen und Dinge verdrehen, statt ihnen auf den Grund zu gehen. Die übliche, Schlagzeilen und Geld bringende Mühle, in der diesmal ein Künstler auseinander genommen wird, der in seiner Bauchgefühlpower und Spontanität Fehler gemacht hat.

Einzig Rezo versucht es neutral und informativ.

Dass die Presse nach den, aus Kontexten gerissenen Informationshäppchen von Herrn Böhmermann nun selbst nach weiteren Fehlern von Fynn Kliemann giert, liegt auf der Hand.

Wenn etwas erbärmlich ist, dann das! Von einem Sommerloch, das es zu stopfen gilt, kann man ja kaum sprechen, wenn man bedenkt, mit was für weltpolitischen Problemen wir zur Zeit konfrontiert sind.

Warum muss man einen Menschen in Stücke reißen, der so viel Geniales zuwege gebracht hat? Der seine Fehler zugegeben – und sich entschuldigt hat? Der sich immer wieder erklärt, um Transparenz zu schaffen und der mit allen Mitteln versucht, diese Fehler wieder gut zu machen.

Der jetzt Zeit braucht und nicht immer wieder neue nichtssagende Schlagzeilen und gehässige, provozierende Videos. Oder unzählige, besserwisserische Kommentare.

Es ist tatsächlich mal gut, jetzt!!!

 

Fynn Kliemann ist kein Jens Spahn! Er ist das Gegenteil! Er will nicht sein Scherflein ins Trockene bringen. Er hat sich höchstens in Eitelkeiten verrannt.

Er hat das Kliemannsland nicht aufgebaut, um Karriere zu machen, sondern weil er zeigen will, dass auch außerhalb von Karrieredenken, außerhalb der üblichen, vorgefertigten und gleichförmig genormten Wege, ein gutes Leben möglich ist. Dass Wege entstehen, wenn man den Mut hat, sie zu gehen. Es gibt niemanden, der das in der heutigen Zeit besser gezeigt – und vorgelebt hat, als er. Er geht seinen ganz eigenen Weg, weil er authentisch ist und für seine Träume kämpft.

Woher ich das weiß?

Ich weiß es nicht. Ich lese es in seinen Texten, spüre es in seiner Musik, höre es in dem, was er sagt und sehe es in seinen Videos. Das ist alles. Und alle, die das gleiche gesehen haben, sollten jetzt zu ihm stehen. Die Lieder sind immer noch dieselben und das Kliemannsland immer noch eine Oase, von denen wir noch mehr brauchen. Alles, wofür sich so Viele begeistert haben, ist immer noch da.

Nur Blickwinkel lassen sich scheinbar schnell verschieben.

Das, was Fynn sagt und tut, passt aber, trotz allem, zusammen. Immer noch. Und auf positive Art. Sogar sein wütendes Video.

Man darf wütend sein, wenn das eigene Lebenswerk in den Dreck gezogen wird. Was treibt einen lästernden Entertainer an, sich aufs unterste Niveau zu begeben, um sowas Dummes zu drehen und einen Künstlerkollegen, den er bewusst in die Scheiße geritten hat, weiter zu provozieren? Das muss aufhören!!!!

 

Mann kommt auf den Gedanken und Fynn Kliemann scheint sich das inzwischen selber vorzuwerfen, dass er sich in der Vergangenheit von der gleichen Maschinerie hat blenden – und einfangen lassen, für die ein Jan Böhmermann arbeitet und nach der Social Media und ein großer Teil unserer Presse funktionieren. Eine Maschinerie, die mit Rampenlicht, Einschaltquoten, Likes, Eitelkeit, Egoismus und Profit gefüttert wird und die über Leichen geht. Ein Spielort, an dem man sein Tun genau hinterfragen und überprüfen muss, statt den Gegebenheiten blind zu vertrauen.

Fynn scheint zu leichtfertig in diese Welt eingetaucht zu sein. Und das, ohne es recht gemerkt zu haben. Er hat allen gezeigt, dass man auch mit verrücktem Zeug gutes Geld verdienen kann, wollte krasser sein, als er ist, wie er selber sagt und jetzt hat es ihn aus dieser Welt wieder heraus gehauen. Das musste so kommen, weil er mit seinen ehrlichen Absichten in diesen Reigen der Eitelkeiten nicht hinein gehört.

Eine Erfahrung, durch die er wachsen kann, weil er seine ursprüngliche Intention nicht verloren hat.

Dass er immer noch der ist, den wir durch seine Kunst kennen, zeigt er uns in seinem Video „Es tut mir leid. Ich geh jetzt aufräumen“. Er ist kein Schauspieler, er meint das ehrlich.

Zum Aufräumen braucht es aber Zeit!

An alle Fans: Gebt ihm eine Chance und lasst ihm diese Zeit. Pfeift drauf, was in reißerischen Artikeln steht oder was unwichtige Anwälte in überflüssigen Analysen behaupten. Letztere versuchen gerade nur auf billige Art in genau diese oberflächliche, über Leichen gehende Welt einzusteigen.

Pfeift auf diesen ganzen Mist!

Seid mutig und steht zu ihm.

Und lacht nicht mit, wenn erhabene Verhöhner auf seine Kosten Witze machen. Denn das ist mehr als erbärmlich!

All der Dreck, der da gerade geworfen wird, ist erbärmlich.

Ich hoffe sehr, er prallt an Fynn ab, weil seine Authentizität, seine Kunst und Power und Liebe ihn schützen.

 

Den Phönix aus der Asche für Fynn!

 

 

 

Christine Bretz

 


Weil man Geld nicht essen kann

 

Sozusagen grundlos vergnügt

 

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen,
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit.
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
Dass Amseln flöten und dass Immen summen.
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.
Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht.
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter.
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter.
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehen.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.
In mir ist alles aufgeräumt und heiter:
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!

Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu.

 

Nach dem 11. September 2001 ist dieses Gedicht von Mascha Kaleko für eine lange Zeit nicht mehr zu mir durchgedrungen. Die Leiter, die von der Erde in den Himmel führt, hatte ihren Halt verloren. Die Grundlage für Unbeschwertheit war von heute auf morgen weg.

Der Frieden, der in den westlichen Ländern so selbstverständlich schien, war mit den Türmen gefallen. Die Unruhen, die danach in die westliche Welt eingezogen sind, sind geblieben. Die Leiter hat trotzdem wieder Halt in mir gefunden.

Nach dem 24.2.2022 geht es unserer Außenministerin scheinbar ähnlich, wie mir vor 21 Jahren, wenn sie sagt, es sei eine andere Welt, in der wir aufgewacht sind.

Es bedeutet wohl, dass wir die Welt jetzt anders sehen.

Nutzen wir diesen Blickwinkel als Chance.

Nicht um uns und unser Militär mit Waffen aufzurüsten, sondern um unsere Lebensweise umzustellen.

Wenn der Krieg in der Ukraine bedeutet, dass es dabei auch um ein Ringen um fruchtbares Land geht, müssen wir dafür sorgen, dass Land nicht unfruchtbar wird, weil es abwechselnd ertrinkt oder vertrocknet.

Wenn unsere Politiker diesen Angriff auf die Ukraine nicht haben kommen sehen, dann vielleicht deshalb, weil sie glauben, dass man Geld essen kann. Weil sie zugunsten von Wirtschaftsinteressen und wegen ihrer persönlichen hohen Lebensstandards, die niemand aufgeben will, den Blick verschließen vor dem, was regelmäßige Dürre und Flut mit sich bringen können.

 

Wir dürfen auf diesen unmenschlichen Angriff, in dem Zivilisten und junge, bewaffnete russische und ukrainische Menschen zum ahnungslosen Spielball zwischen Imperien und Oligarchen werden, nicht damit reagieren, dass wir aufrüsten, um in das Spiel einsteigen – und unsere erwachsenen Kinder auch zu einem solchen Spielball machen zu können.

In der Welt, in der wir am 24.2.22 aufgewacht sind, war noch nie Frieden. Und in Europa, genauer gesagt in der Ukraine ist schon seit 8 Jahren Krieg. Wieso erwachen wir erst jetzt?

Sicher deshalb, weil jetzt niemand mehr weg sehen kann, denn er betrifft das ganze Land. Es betrifft uns selbst, weil die flüchtenden Menschen jetzt bei uns Zuflucht suchen.

Und wir sehen keinen verschlagenen russischen Präsidenten mehr, mit dem man Geschäfte machen kann, sondern einen Despoten, der seine Soldaten in die Irre führt und brutal opfert und fragen uns, wie weit er gehen wird.

 

Es ist eine natürliche Reaktion, dass Ereignisse einen (mehr) treffen, wenn sie einen selbst betreffen.

Die Ukraine ist nicht weit weg und wir haben Angst um unseren eigenen Frieden.

Wir sind hineingeboren in ein friedliches Europa. Frieden ist unsere Grundlage, unser Normalzustand. Unsere Säule. Und sollte es überall sein.

Dass er in vielen anderen Teilen der Welt immer und immer wieder gefährdet ist oder schlicht nicht vorhanden, nehmen wir zur Kenntnis. Mal mehr, mal weniger betroffen und handeln und reden aus unserer friedlichen Grundlage heraus humanitär, helfend oder hilflos.

Die Zusammenhänge sind meistens so komplex, dass sie schwierig zu durchschauen sind.

In solchen Situationen geben wir von unserem Reichtum gerne etwas ab, packen Hilfskartons und wissen nicht, was wir sonst tun können.

Unser Reichtum: Die zweite Säule und Grundlage, in die wir hinein geboren sind:

Ein Zustand des Überflusses, in dem zu allen Zeiten alles zu haben ist und aus immerwährend vollen Regalen jederzeit alles, was wir brauchen und uns wünschen zur Verfügung steht. Wer diese vollen Regale noch nie infrage gestellt hat, kann sich auch nicht vorstellen, dass es mal anders sein könnte. Es ist diese reiche Grundlage, die auch als Normalzustand gelebt wird. Wir können uns nicht vorstellen, mit einer anderen Grundlage glücklich zu sein. Wir verwechseln sie mit Freiheit. Wir halten es für Freiheit, dass wir uns alles beschaffen, was wir uns finanziell leisten können. Deshalb scheint uns finanzieller Reichtum und der Aufstieg auf der Karriereleiter, der uns diesen Reichtum sichert, auch so erstrebenswert: Je reicher, desto freier.

Dass wirkliche Freiheit das Gegenteil dessen ist, nämlich autark und unangepasst, fern dieses Konsumdenkens leben zu können, steht erst gar nicht zur Debatte. Es ist nicht verankert in dem, was wir in der Schule und in einer profitgesteuerten Leistungsgesellschaft lernen.

Wir kommen auch nie auf den Gedanken, dass unser Missverständnis von Freiheit unseren eigenen Frieden gefährden könnte.

Jetzt ist es soweit. In dem seit 70 Jahren friedlichen Europa wird gekämpft.

Und wir reagieren, wie vor über 70 Jahren und schreien nach intakten Waffen. Gleichzeitig halten wir die Ressourcen dieser Welt weiterhin für unbegrenzt und halten unseren Reichtum, der uns westliche, wie östlicher Oligarchen in den Rachen stopfen, für normal. Obwohl er ein Ungleichgewicht auf der Welt schafft. Ein Ungleichgewicht, das Voraussetzungen schafft für Unruhen und Krieg.

Wir müssen unser Aufwachen durch den Krieg in unserem Nachbarland nutzen, um Zusammenhänge zu sehen und zu ändern. Hilfskartons reichen nicht aus. Vor allem dann nicht, wenn es uns egal ist, ob wir sie in ein Flüchtlingslager schicken oder vor dem überquellenden Altkleidercontainer in den Regen stellen.

Ja. Es ist schwierig, Zusammenhänge zu durchblicken und wir wissen nicht, was wir glauben sollen.

Ja, es ist schwierig, nachhaltig zu sein, weil das, was wir für nachhaltig halten, immer wieder auch einen Haken hat.

Aber es hilft, wachsam zu sein und Flut – und Dürrekatastrophen nicht einem wechselhaften Wetter zuzuschreiben und vor allem, unseren Luxus nicht als Grundvoraussetzung von Leben zu sehen.

Wachsamkeit hilft dabei, unsere momentane Angst zu überwinden und das anzugehen, was schon lange ansteht:

Um unsere eine feste Säule, den Frieden zu sichern, müssen wir die andere Säule aus vermeintlicher Sicherheit umbauen zu wirklicher Sicherheit.

Wir müssen unseren Blickwinkel ändern, unsere Bequemlichkeit überwinden und echten Zusammenhalt zeigen, indem wir Karriere – und Konkurrenzdenken ablegen. Wir müssen unser profitgesteuertes System, in dem Wirtschaftswachstum oberste Priorität hat, endlich als das sehen, was es ist: Eine Maschinerie, die unsere Welt zerstört. Wir müssen unsere Köpfe befreien von materiellem Prestigedenken, das die eigene Freiheit den Geldbeuteln der Konzerne opfert und unsere Seelen erstickt.

Denn „Geld kann nicht alles. Aber mit Geld kann man alles zerstören.“ (Dota Kehr)

Wenn man es in Aufrüstung steckt, sowieso.

Statt unsere Kinder erneut in Uniformen zu zwingen und sie zur Verteidigung unseres Konsumwahnsinns in den Krieg zu schicken, sollten wir ihnen lieber dabei helfen, diesem Wahnsinn zu entkommen.

Indem wir sie aus den Fängen einer Leistungsgesellschaft befreien, die ihnen beibringen will, dass sie immer die Ersten sein müssen, um im Leben was zu erreichen. Nein! Sie müssen authentisch sein, ihre Leidenschaften entdecken und die „Leiter, die von der Erde in den Himmel führt“ fühlen und verstehen. Sie wollen sie erklimmen. Sie arbeiten daran, die Welt, in die sie hineingeboren sind, zu verändern, zu verbessern. Sie gehen dafür auf die Straße und schaffen es, Verzicht in ihr Lebensmodell einzubauen. Etwas, von dem wir Alten einfach nicht verstehen wollen, dass es nötig ist, um den Klimawandel zu stoppen und Kriege zu verhindern.

Sie brauchen unsere Hilfe.

Nehmen wir diese düsteren Zeiten als Chance. Die Welt verändert sich.

Wir alle können die Richtung bestimmen.

 

 

Christine Bretz


2G

 

Sind Sie geimpft, geboostert, genesen?

 Haben sie Ihren Impfpass und Personalausweis dabei?“

Ja? Nein? Vielleicht?“

Ein „Vielleicht“ wird schwierig und ein „Nein“ unmöglich, wenn ich jetzt ein Ladenlokal betrete, ins Theater oder ins Kino will.

Wenn ich meinen Impfausweis mal vergessen hab, bekomme ich einen kleinen Einblick in das, was Menschen fühlen müssen, die nicht geimpft sind.

Wie war das nochmal? Sollte so ein Gesetz nicht nie in Kraft treten?

Ach, so, ja... stimmt: Die Selektion ist als Motivation zum Impfen gedacht. Ja, man muss das positiv sehen.

Wenn eine Regierung aus taktischen oder hilflosen Gründen ein Gesetz erschafft, welches einen Teil von uns aus unserem gesellschaftlichen Leben ausschließt - und wenn Politik und Medien es mit der Behauptung rechtfertigen, diese Menschen seien selber schuld, weil sie unsolidarisch handelten, ist das .... nicht positiv...

Wohl eher ein Paradebeispiel dafür, wie man eine Gesellschaft spalten kann.

 

Es ist ja nicht so, als wären wir nicht schon lange gut darin, mit unterschiedlichem Maß zu messen.

Wir haben Übung: Flüchtlinge, Obdachlose... Menschen mit Migrationshintergrund oder aus sogenannten bildungsfernen Schichten kann der Wohlstandsbürger nur belächeln oder im besten Falle mit seinem wohlwollenden Mitleid betrachten, wenn er ihnen unter die Arme greift oder sich zu einer Spende herab lässt.

Seit ich in Deutschland lebe, erlebe ich es so, dass das hiesige sozialgesellschaftliche Selbstverständnis nicht nur Minderheiten mit Arroganz behandelt oder ganz ausschließt, sondern Länder, auf deren Ausbeutung unser Wohlstand basiert, komplett ignoriert.

Beides hat denselben Ursprung: Egoismus.

Das ist nicht neu.

Neu an dem jetzigen Ausschlussverfahren ist nur, dass es auch Menschen trifft, die normalerweise integrierter Teil der Gesellschaft sind:

Die unsolidarischen Ungeimpften“.

Dieser in Dauerschleife gepredigte Aufruf zu Solidarität ist deshalb unerträglich verlogen, weil den Predigern Solidarität völlig fremd ist, wenn es um die Näherin in Bangladesch geht oder den Coronatoten in Wuhan. Dabei sollten wir alle endlich begreifen - und Corona führt es uns vor Augen - dass die Welt eins ist und unser Handeln und dessen Folgen ein Bumerang, der nicht nur an weit entfernten Orten zu spüren ist, sondern zu uns zurück kommt. Sogar in Form von Lieferengpässen. An dieser Stelle werden wir zwar hellhörig bis panisch, bedeutet es doch, dass wir nicht mehr jederzeit alles kaufen können. Aber wir bleiben blind für die wahren Ursachen und regen uns über die Chinesen auf: Wieso müssen die auch Fledermäuse essen.

Statt vor der eigenen Haustür zu kehren, kommen uns Empathie und Toleranz in Krisensituationen scheinbar völlig abhanden: Dem Einen aus Angst vor der Krankheit, dem Anderen aus Angst vor der Impfung, dem wieder Anderen aus Angst vor dem Verlust seines bequemen Lebensstils. Schuldige zu suchen ist dann die Nebenwirkung dieser Angst und man teilt sich gegenseitig ein in „verantwortungslose Impfgegner“ und „feige Mitläufer einer Mehrheitsgesellschaft“. Denn auch die neue Minderheit der Ungeimpften kann sich nicht frei sprechen von eben beschriebenem Egoismus und fehlender Empathie für Andersdenkende (also Menschen, die anders denken, als sie) und für diejenigen am Rand unserer Gesellschaft und der Welt.

 

Wo liegt denn nun eigentlich die Wurzel des Problems?

Vielleicht in der Befürwortung eines Systems, bei dem es primär um Wirtschaftswachstum geht, weil jeder darin das Wohl der Menschheit begründet sieht. Ein System, in dem Krankenhäuser und Schulen, die von der Pandemie besonders gebeutelt sind, trotzdem viel zu kurz kommen und mit ihrer Überforderung langfristig allein gelassen werden. Ein System,  das die verlorene Lebenszeit von Kindern und Jugendlichen mit Geld ausgleichen will, für das Kunst und Kultur nicht systemrelevant ist und das verzweifelt die Symptome einer Krankheit bekämpft, ohne deren Ursachen wahrhaben zu wollen:

Den Zusammenhang zwischen Corona und unserem rücksichtslosen Umgang mit der Natur, in die wir aus wirtschaftlichen Gründen weiterhin leichtfertig vordringen und das Risiko eingehen, weitere Elemente frei zu legen, die weitere Pandemien verursachen können, während wir verzweifelt auf Inzidenzwerte starren.

Statt den Klimaschutz als oberste Priorität zu sehen, scheint er nur gekoppelt mit der Erhaltung unseres Wohlstands möglich. Was sich allerdings gegenseitig ausschließt, denn unser Wohlstand heißt Überfluss. Und das, was bei uns überfließt, fehlt an anderer Stelle nicht nur, sondern reißt Löcher ins Grundgetriebe. Corona ist eins davon. Dürre, Waldbrände und Flut, inzwischen sogar vor unseren Haustüren, sind andere.

Statt also an unserem wirtschaftlichen Wohlstand festhalten zu wollen, sollte die Politik lieber zu Solidarität aufrufen: Zu solidarischem Konsumverzicht zugunsten der Zukunft unserer Kinder. Und wir alle müssen auch ohne Aufruf jede unserer Handlungen überprüfen. Müssen wir wirklich jedes Jahr in den Urlaub fliegen? Brauche ich tatsächlich das neue Handy? Muss ich mit dem Auto zum Supermarkt fahren, dauernd neue Klamotten bestellen usw...

Statt Schuldige für die momentanen Einschränkungen zu suchen, sollten wir uns lieber alle von selbst einschränken und damit für eine Zukunft kämpfen, in der unsere Kinder leben können. Eine Zukunft ohne weitere Pandemien und G-Verordnungen. Ohne noch heftigere Fluten und Dürren, ohne Lebensmittelknappheit, ohne Wassermangel. Eine Zukunft, in der unsere Kinder glücklich sein können, weil sie unsere Dummheit überwunden haben werden. Dafür müssen wir unsere Dummheit aber auch selber überwinden. Jetzt! Sofort! Die Kinder gehen freitags auf die Straße. Und wir fahren SUV...

Die Kinder im Übrigen, die jetzt vielleicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, wenn sie nicht geimpft sind. Wir machen es ihnen vor. Ob ungetauft oder ungeimpft, einen Grund für Mobbing gibt es immer. Hauptsache, man selbst gehört zu denen, die es „richtig“ machen.

Dabei soll die Impfung einfach nur vor einem schweren Verlauf der Krankheit schützen.

Was sie ja offensichtlich auch tut!

Sollte es aber in einer Zeit des Forschens, in der Medizin und Wissenschaft vor ganz neuen Herausforderungen - und mitten in der Lösungsfindung stehen, nicht eventuell doch erlaubt sein, diesen Lösungsversuchen zu misstrauen, ohne dafür gesetzlich belangt, oder vorschnell verurteilt zu werden? Sollte es vor allem nicht durchaus erlaubt sein, schnelle Gesetzesänderungen zu hinterfragen?

Sollten wir alle nicht einfach mal damit aufhören, uns gegenseitig in Schubladen zu packen?

Am Risiko kommen wir sowieso nicht vorbei: Neben-oder Langzeitwirkungen der Impfung oder die Krankheit selbst mit ihren Folgen...

Wir alle versuchen, mit der Krankheit umzugehen und dafür brauchen wir Mut.

Mut zum Risiko.

Mut zu unseren Freunden zu stehen.

Mut, anderen Sichtweisen gegenüber offen zu bleiben.

Vielleicht auch Mut, seine Meinung zu ändern.

Vor allem aber Mut, Verschwörungstheorien zu bekämpfen und sich den braunen Parasiten, die friedliche Proteste systematisch und massenhaft unterwandern und damit untauglich machen, an Ort und Stelle entgegen zu stellen und sich vehement und dauerhaft von ihnen zu distanzieren!

Wer jetzt sagt, das sei auch ein Messen mit unterschiedlichem Maß, hat sich ihnen schon geöffnet, ist von rechts beeinflusst und hat nicht begriffen, dass es keine Toleranz für Intoleranz geben kann.

Denn gerade dann, wenn wir schnelle Gesetzesänderungen mit Skepsis betrachten oder nicht gut heißen, muss uns klar sein, dass diese braune Suppe nicht wieder überschwappen darf. Wenn sich die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten ändern, kann niemand mehr gegen neue Gesetze auf der Straße mit Kerzen spazieren gehen. Wie passen Attentate und Morddrohungen zu ihren Friedensparolen? Jeder Mitlaufende auf einer Demo muss doch bei dem Spruch „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ aufhorchen und sich fragen, ob sein eigentliches Anliegen noch ernst genommen werden kann, da wir in Freiheit und Frieden leben und keine Diktatur haben. Wer das Gegenteil behauptet, hat noch keine Diktatur erlebt. Und das Argument, wir seien auf dem besten Weg dahin, wird sich nur dann bewahrheiten, wenn solchen verlogenen Sprüchen und dem dahinter liegenden Gedankengut Raum gegeben wird. Wenn nicht erkannt wird, dass die rechte Bewegung die allgemeine Unzufriedenheit ausnutzt, um Zulauf zu bekommen.

Allen Spaziergängern muss doch klar sein, dass sie selbst schon rechts denken und Nazis gesellschaftsfähig machen und stärken, wenn sie sie in ihren Reihen bewusst tolerieren.

Dass Kritiker der Corona-Politik schon oft zu Unrecht mit rechts in Verbindung gebracht wurden, darf die Kritiker nicht blind dafür machen, dass die rechte Szene genau diesen schief liegenden Diskurs ausnutzt und sie inzwischen nach Strich und Faden verarscht.

Im Grunde ist es ganz einfach: Demos gegen Corona-Maßnahmen müssen gleichzeitig immer auch gegen rechtes Gedankengut ausgerichtet sein. Das wäre von Anfang an ein Statement.

Wäre das vielleicht eine Lösung dafür, dass berechtigte Kritik an der Corona-Politik sich nicht mehr mit rechtem Gedankengut vermischt? Wäre es vielleicht eine Lösung dafür, dass die echten Kritiker unter den Demonstranten nicht mehr mit Nazis in Verbindung gebracht werden können oder sich in diese Ecke gestellt fühlen müssen? Wäre es vielleicht die Lösung dafür, den Vormarsch der Idioten zu stoppen?

Ist es nicht sowieso an der Zeit, sich wieder wichtigeren Dingen, als einer Impfung oder Masken zuzuwenden? Wenn es wegen den gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen vor jedem Flug in den Urlaub immer Demonstrationen gäbe, stünde fast ganz Deutschland dauerhaft mit Kerzen auf den Straßen. Diese bekanntlich alles andere als harmlosen Impfungen nehmen aber alle hin. Warum? Warum dann und jetzt nicht?

Und warum lassen wir uns jetzt impfen? Weil wir mithelfen wollen, die Pandemie in den Griff zu kriegen und andere und uns selbst schützen wollen? Oder weil wir eine Freikarte haben wollen, weiterhin und ohne Rücksicht auf andere, ungestört im Überfluss zu baden?

2G fördert Ersteres vielleicht und verhindert Letzteres. Eigentlich ja eine gute Sache.

Der Haken daran ist aber, dass dieses Gesetz mit Letzterem lockt, um Ersteres zu erreichen und alle Kritiker, die das durchschauen in die Arme derer treibt, die vor Gewalt nicht zurück schrecken und Gedanken verseuchen.

Nicht alle Einschränkungen sind also richtig, nur weil sie eventuell die Ausbreitung von Corona verhindern. Und nicht jede Kritik an Einschränkungen ist falsch.

Definitiv falsch ist aber, sich aufgeregt verrennend Scheuklappen aufzusetzen, die dazu führen, alles schwarz/weiß zu sehen und vor allem, außer Corona gar nichts mehr zu sehen und gefährliches Gedankengut nicht zu erkennen.

 

Gelassenheit ist in Wahrheit der Schlüssel zum Glück“ stand heute in meinem „Moralomat“.

Vielleicht stimmt das ja und sie ist ein Teil der Lösung.

Gelassenheit und Glück... G und G

2 G

 

 

Christine Bretz


Zur Reaktion auf "#Allesdichtmachen"

 

Zunächst:

 

Man kann der Meinung sein, so eine Aktion, wie "#allesdichtmachen“ und der Umgang damit seien unwichtig und spielten überhaupt keine Rolle, in Anbetracht der Probleme, vor denen wir stehen. Das stimmt einerseits. Andererseits ist aber der Umgang damit auch der Umgang mit Kunst und mit freier Meinungsäußerung. Und wie wir damit umgehen, spielt gerade dann eine Rolle, wenn wir vor großen Problemen stehen.

Die Aktion ist in die Hose gegangen? Wohl eher nicht!

Wenn Kunst in ihrer Aussage die Reaktion auf sich selbst voraussagt, ist das durchaus genial. Der Shitstorm bestätigt jedenfalls, dass die Künstler in vielen ihrer Aussagen richtig liegen.

In die Hose gegangen ist allenfalls die Reaktion auf die Aktion, die deutlich zeigt, in welcher Schieflage der Diskurs festsitzt.

Wenn jemand Kritik an den Corona-Maßnahmen ausübt, ist der/diejenige nicht automatisch ein Coronaleugner und schon gar nicht automatisch ein rechter Idiot. Hier kann die „Aber-Regel“ aus der Flüchtlingskrise nicht gelten, in welcher alles nach dem „Aber“ grundsätzlich eine bestimmte Gesinnung gezeigt hat bzw. immer noch zeigt.

Aussagen zu Corona-Gesetzen sind nicht grundsätzlich ignorant oder rechts, nur weil irgendeine überflüssige Partei vorgibt, dieselbe Meinung zu haben.

 

Kunst darf vor den Kopf stoßen. Kunst muss das dürfen!

Und die Künstler*innen müssen die darauffolgende Kritik aushalten können. Solange es nur Kritik ist: Über Stilmittel kann man streiten. Man kann darüber diskutieren, ob Ironie und an manchen Stellen fehlende Empathie in diesen Zeiten eventuell über das Ziel hinaus geschossen haben usw.

Diffamierung allerdings darf nicht die Folge einer Kunstaktion sein, ob diese nun als gelungen empfunden wird, oder nicht. Diffamierung hält auch keiner aus.

Aber Diffamierung ist die überwiegende Reaktion auf "#allesdichtmachen".

Warum? Weil es auf diese Weise so leicht ist, unerwünschte Aussagen auszuknocken?

Wie viel Macht wird denn bitte einer Partei zuerkannt, wenn das, was gemacht oder gesagt wird, erstmal auf deren Zustimmung oder Ablehnung überprüft wird?

Wenn Zuschauer, Freunde, Bekannte und Kollegen und am schlimmsten: die Presse mich im Fahrwasser dieser Partei suchen, weil ich eine bestimmte Meinung zu bestimmten Themen habe, was mache ich dann? Meine Meinung verschweigen, weil ich Angst vor diesem Fahrwasser habe?

Muss man sich tatsächlich von etwas distanzieren, von dem man nicht mal im Traum daran gedacht hat, sich damit gleichzusetzen? Und obwohl das, was gesagt oder getan wurde, rein gar nichts mit dem zu tun hat, von dem man sich angeblich distanzieren muss? Für was müssen sich die Künstler von #allesdichtmachen entschuldigen? Dafür, dass ihnen im Anschluss Leute applaudiert haben, die sie verabscheuen?

Bedient man tatsächlich eine Partei mit rechtem Gedankengut, wenn man Corona-Maßnahmen kritisiert und den Menschen eine Stimme geben will, die unter der nicht zielführenden und andauernden Härte vieler Maßnahmen leiden?

Muss man sich ernsthaft solche Fragen stellen, weil Unterstellungen dieser Art inzwischen gesellschaftskonform sind?

Lässt man nicht vielmehr genau dann die Aktion in die Hose gehen, wenn man sich zurück zieht und sich für etwas entschuldigt, was man nicht gemacht hat?

 

Wenn die Unterstellungen jedenfalls der Wahrheit entsprächen, würde das im Umkehrschluss bedeuten, dass es die Menschen mit rechtem Gedankengut sind, welche sich als Fürsprecher zeigen für diejenigen, die durch die Maßnahmen auf der Strecke bleiben, während große Konzerne noch mehr Gewinne einfahren und sich in der Regierung Korruption breit macht.

Sind es also die rechten Idioten, die plötzlich sozial sind und sich für andere Menschen einsetzen? Wohl kaum. Die nutzen nur die momentane Schieflage unserer Diskussionslandschaft für sich aus.

Die Maßnahmen-Kritiker stehen durch ihre Kritik nicht automatisch rechts! Glauben nicht automatisch an Verschwörungen oder leugnen Corona. Man kann das gar nicht oft genug sagen. Die Kritik ist meistens auch nicht pauschal.

Pauschal ist aber überwiegend die Reaktion auf die Kritik.

Und das ist genau so dumm, wie die Gleichgültigkeit der „Querdenker“ gegenüber der Tatsache, dass Nazis ihre Veranstaltungen unterwandern.

Diese beiden Reaktionsmuster haben sich scheinbar ineinander verkeilt und sind gerade dabei, eine Art Zahnrad zu werden, das kontraproduktiv alle Kreativität in Sachen Lösungsfindung niederrollt.

Denn die unsägliche Offenheit der Querdenker nach rechts * hat offensichtlich dazu geführt, dass Kritik an der Coronapolitik von der rechten Seite vermehrt befürwortet - und vom rechtschaffenen Menschen immer genau dort vermutet wird.

In der Gesellschaft hat sich eine abstruse Konditionierung etabliert, welche jegliche Kritik an jeglichen Maßnahmen, egal wer sie ausspricht und egal um was es dabei genau geht, mit Unseriösität gleichsetzt, mit Verantwortungslosigkeit oder Gleichgültigkeit den Opfern gegenüber und eben vor allem mit rechts.

Durch diesen Teufelskreis gewinnen AfD und Co Zuspruch und Macht. Wie anders ist es nämlich zu werten, wenn berechtigte Kritik ausbleibt oder gleich wieder zurück gezogen wird, weil man nicht in die rechte Ecke gestellt werden will.

Gedanken aus dieser Ecke müssen unbedingt erkannt und aufgedeckt werden, um sie zu bekämpfen. Was aber nicht heißt, dass man wahllos jedem diese Attribute zuschreiben darf, der, jenseits jeder Gesinnung, in der Coronapolitik einen anderen Blickwinkel hat, als man selbst.

 

Schließlich geht es nicht darum, die Gefahr, die von Corona ausgeht, zu leugnen, sondern einen guten Weg zu finden, der aus der Gefahr, die nicht nur „Corona“ heißt, heraus führt. Und den finden wir nicht, wenn wir uns damit ablenken, unsere verschiedenen Sichtweisen bestimmten Gruppierungen zuzuordnen und uns in diesem Sinne gegenseitig auf „richtig“ oder „falsch“ zu überprüfen.

Wir brauchen Offenheit für alle fachkompetenten Meinungen und Ideen. Und nicht nur für die, welche mit dem bereits vorhandenen Weg konform gehen, welcher Menschen vereinsamen lässt, Psychiatrien überlastet und uns in der Umweltpolitik zurück wirft.

Wir brauchen die Weitsicht, die gesamte Gefahr zu erkennen, von dem Corona nur ein Teil ist:

Gegen den Klimawandel gibt es keine Impfung. Da hilft nur die Einsicht, dass er mitsamt Corona die Folge ist von Ausbeutung von Mensch und Umwelt zugunsten von wirtschaftlichen Interessen und Wachstumszwang. Und wirtschaftliche Interessen mit allem, was dran hängt, vom Wettbewerb über den eigenen Vorteil bis zum großen Geld stehen nach, wie vor im Vordergrund einer Politik, die gleichzeitig Menschen schützen möchte....

Eine grundlegende Veränderung ist hier dringend nötig und jetzt mehr, denn je auch möglich.

Deshalb ist es wichtig, Kritik zu üben und Kritik anzunehmen, statt sich auf einem eingeschlagenen Weg festzufahren und Kritiker zu verurteilen.

 

Die Devise heißt also für alle: Offen bleiben für andere Blickwinkel und für Kritik. Differenzieren, statt diffamieren und nicht aufhören, kontrovers zu diskutieren und miteinander zu reden. Auch öffentlich.

Aber nicht am Stammtisch der sozialen Medien!

 

Christine Bretz

 

 

*„Wer die Querdenker sind“ Oliver Nachtway/WDR 5

 


Systemrelevant - ein wort

Systemrelevant... Das Wort wird bestimmt Unwort dieses Jahres.

 

Des Jahres, in dem endlich mehr als deutlich wurde, dass die für uns so selbstverständlichen und für unser System so selbstverständlich unterbezahlten Berufe im Bereich der Pflege einen viel höheren Stellenwert verdienen.

 

Und in dem wir Künstler uns endlich dagegen gewehrt haben, dass unser Schaffen für das System, in dem wir leben, gar keinen ernst zu nehmenden Stellenwert hat.

 

Systemrelevant“... Wieso benutzen wir in der Diskussion überhaupt selber dieses Wort?

Gesellschaftskonform ist Kunst, die die Gesellschaft aufrüttelt, umkrempelt und kritisiert, noch nie gewesen. Kunst, die berührt, ist meistens nicht wohnzimmerkompatibel, weil niemand den intensiven Blick aus ihrer Sicht jeden Tag aushält.

Und gerade diese Intensität und Tiefe macht sie so wichtig. Denn nur mit dem, was berührt, können wir etwas verändern und verbessern.

Kunst holt Gefühle zum Vorschein, wirbelt sie durcheinander und öffnet uns Augen, Ohren und Herz für das, was einer Gesellschaft fehlt und was ein System braucht, um menschlich zu sein. Sie öffnet unser Bewusstsein für das, was im Leben relevant ist. Wenn eine Gesellschaft das nicht erkennt, kann Kunst für das System dieser Gesellschaft nicht relevant sein.

Dann darf sie es gar nicht sein.

Ein System, das Konsum und Wettbewerb groß schreibt, das mit dem Blick auf stetiges Wirtschaftswachstum Kriege unterstützt und den Klimawandel ignoriert, ein System, in dem Fremdenfeindlichkeit wieder en vogue wird, das durch seine gewohnten Machenschaften sogar innerhalb der momentanen Krise, Interessenkonflikte nicht beiseite legen kann, so ein System verdient es wahrlich nicht, dass wir Künstler uns ihm in unserer Argumentation anpassen. Unsere Kunst kann nur insofern wichtig für dieses System sein, als, dass wir es durch sie verändern müssen und nicht, weil wir rechtfertigende Argumente finden, welche Kunst in ein kompatibles Licht stellen.

Unsere Kunst ist nicht systemrelevant, sondern lebenswichtig!

Und das nicht deshalb, weil wir Produkte liefern, die konsumiert werden können oder weil wir Künstler hart arbeiten. Letzteres tun wir zwar, aber das sollte nicht unser Argument für Relevanz sein, denn man muss nicht hart arbeiten, um in diesem System relevant auszusehen. Mal ganz davon abgesehen, dass „Beflissenheit für ein System“, fehl am Platz ist und nicht nur Künstlern schlecht zu Gesicht steht.

 

Es gibt neben dem konsumgesteuerten Hunger auch die Sehnsucht, die von nicht materiellen Nahrungsquellen lebt. Wenn es ums nackte Überleben geht und in Krisensituationen (begründete und unbegründete) Angst die Runde macht, dann brauchen unsere Seelen Trost und Zuversicht, um nicht krank zu werden, um nicht anfällig für populistische Viren zu sein.

Wenn Gedanken wochenlang mit dem Körper im Exil eingesperrt sind und die Dunkelheit nicht durchbrechen können, brauchen sie eine Triebfeder, die zwischen allen Worten liegt. Die heilen kann und Hoffnung gibt.

Sie brauchen Kunst. Denn sie ist „die höchste Freude des Geistes, …. sie ist eine Übung für das Denken, das die Welt zu verstehen und sie verständlich zu machen sucht.“ (Rodin)

In Bildern, Skulpturen, Liedern, Theaterstücken, Gedichten, Filmen, Büchern, Tanz...

Kunst ist Nahrung für die Seele und verhindert die schnelle Verbreitung der Elemente, die mit einfachen Lösungen auf rechtsgerichteten Menschenfang gehen.

Wenn ein System denkt, das sei nicht relevant, dann ist dieses System der Kunst nicht würdig. Dann ist es erst recht dem Wunsch der Künstler, ihr Schaffen möge systemrelevant sein, nicht würdig.

 

Vielleicht gelingt es uns Künstlern aber jetzt, das System so umzukrempeln, dass es endlich die Wichtigkeit unseres Tuns erkennt und anerkennt.

Es wäre an der Zeit.

Theater und Ausstellungsräume brauchen wir jetzt mehr, denn je, denn jetzt können Künstler vielleicht tatsächlich was erreichen und ein Umdenken in Richtung Menschlichkeit und Umweltschutz schaffen. Die Menschen sind sensibilisiert.

 

Kunst ist relevant. Immer. Für uns alle. Und besonders in Systemen, die verbessert werden müssen.

 

 

Christine Bretz

 

 


Gleichgewicht und Logik

(Ein Einkauf in Zeiten von Corona)

 

Gestern wollte ich ganz normal einkaufen.

Obwohl zur Zeit ja nichts mehr normal ist. Mein Klopapier war trotzdem alle. Ich benutzte schon seit Tagen Taschentücher. Die gingen deshalb auch zur Neige. Normalerweise ist es andersrum. Da benutze ich Klopapier zum Nase putzen, weil die Taschentücher alle sind. So kommt es dann, dass Taschentuch und Klopapier sich nie die Waage halten. Es sei denn, beide sind aus. Dann muss die Tageszeitung ran. Aber da kann ich mich nie entscheiden, welchen Teil ich nach dem Sportteil benutzen soll. Meistens entscheide ich mich für die Wirtschaft. Kultur am Schluss. Das bringe ich nie übers Herz, denn die ist ja nun wirklich nicht fürn Arsch.

Entschuldigung.

Wenn ich dann vorher auch noch anfange zu lesen, wird die Produktion sehr groß. Was ja gut ist, wie ich aus dem Wirtschaftsteil schon weiß.

Wie auch immer. Die Zeitung ist nur für absolute Notfälle gedacht und so weit wollte ich es nicht schon wieder kommen lassen.

Alles sehr unglaubwürdig, werden Sie jetzt sagen. Jeder weiß, dass man Tageszeitungen und auch Taschentücher besser nicht ins Klo wirft. In ein Plumpsklo schon! Stellen Sie sich einfach ein Plumpsklo vor.

Was wollte ich sagen?

Ich brauchte also dringend Klopapier.

Und fand natürlich keins. Alles alle. Überall. Also hab ich mich dazu entschlossen, Taschentücher zu kaufen und mich gewundert, dass es die noch gab.

Ich meine... Gesetzt den Fall, die Klopapierkäufer werden krank und können ihre Häuser nicht verlassen, dann brauchen die doch Taschentücher. Denn sonst müssen sie ja ihr wertvolles Klopapier voll rotzen und ihr Notstandsvorrat ist hastewaskannste aufgebraucht. Unlogisch! Wieso haben sie also nicht gleich auch genauso viele Taschentücher gekauft, wie Klopapier. Dann bliebe ihr Vorrat im Gleichgewicht.

Apropos Gleichgewicht. Und Logik... Das leere Regal animiert zum denken.

 

Diese Krankheit, ihr wisst schon welche, ist nicht auf dem anderen Planeten geblieben, sondern direkt mal zu uns durchmarschiert. Wir sind Betroffene!!! Sonst sind Epidemien, Waldbrände, Tsunamis, Krieg und Flucht nur Teil der Nachrichten und jetzt sind wir Teil dieser Nachrichten. Wir sind Teil davon. Teil der Katastrophe. Ist die Erde dadurch jetzt im Gleichgewicht?

Wir haben es geschafft, mal nicht nur woanders Elend zu schaffen durch unseren Wohlstand, sondern selber in den Schlagzeilen zu stehen. Vor allem mit unserer Sorge um unsere Versorgung und unser Wohl. Endlich ist die Welt auch bei uns mal aus den Fugen.

 

Chaos, Panik, Massaker. Und ich hab kein Klopapier.

 

Was ich sagen will....

Man denkt ja immer, das Unglück trifft nur die Anderen. Jetzt trifft es uns und wir müssen unsere Tücher, die noch übrig sind, schnell ins Trockene bringen.

Ich stehe vor dem leeren Regal und in mir macht sich ein Weltuntergangsgefühl breit. Ich brauche einen Notfallplan.

Apropos Notfallplan. Mein Kopf läuft Amok. Ich komme von Hölzchen auf ganze Stöcke...

Was passiert denn erst, wenn die richtig große Katastrophe eintritt? Also die Sache mit dem Klima... Was ist, wenn die Umweltfreaks alle recht haben?

Müssen wir etwa noch mehr Klopapier kaufen, weil es bald keine Bäume gibt, aus denen Papier hergestellt werden kann?

Was, wenn das Sterben, also das Waldsterben so schnell weiter geht, wie dieses Virus ansteckend ist?

Was, wenn Überschwemmungen oder größere Stürme und noch größere Hitze drastische Maßnahmen nötig machen? Müssen wir nicht vorher Maßnahmen ergreifen? Oder ist das „Vorher“ schon vorbei? Oh Gott!

Was, wenn wir auch aufgrund des Klimakollaps fürchten müssen, dass die Läden schließen oder wir nicht mehr auf die Straße dürfen? Was dann? Eine intakte Umwelt gibt’s nicht im Supermarktregal, das man plündern kann. Und doch plündern wir sie. Die Umwelt. Bis zum Notstand, vor dem wir Angst haben.

Sind wir bei der Verbreitung des Virus etwa genau dort, wo wir gerade auch beim Klimakollaps sind? Nur mit dem Unterschied, dass Ersteres durch überbordende Nachrichtenpräsenz und neue Regeln nicht ignoriert werden kann und Zweiteres keiner wahr haben will? In beiden Fällen geht es um Zeit.

 

Apropos Zeit. Mir fällt auf, dass ich schon seit 20 Minuten vor diesem Regal stehe. Vielleicht sollte ich mal weiter gehen, sonst werde ich noch von der Security verhaftet, weil ich unsichtbares Klopapier anstarre.

Ich stelle mich also mit meinen Taschentüchern in die Schlange und halte Abstand. Eine eilige Frau mit Schutzmaske und vollem Wagen schiebt sich vor mich in die Sicherheitslücke. Ich spreche sie vorsichtig an. Sie hört nichts. Ich frage mich, ob sie auch ihre Ohren schützt. Was tun? Ich rede lauter. Keine Reaktion.

Ich zögere und will nicht durch den Markt schreien. Die Security hat ihre Augen und Ohren bestimmt überall. Und wenn ich zu ihr gehe und sie antippe? Geht nicht. Auch verboten. Ich füge mich also und glotze über ihre Schulter in ihren Einkaufswagen.

Was will sie bloß mit ganzen Kartons voller Chips? Siebenmal Mehl (das gabs noch?), viermal Salz, sechsmal Kaffee. Fünf Flaschen Spritus-Reiniger. Der blaue Engel ist da nicht drauf. 20 wahllos zusammengewürfelte Packungen Seife. Du liebe Güte! Wann will sie die denn alle benutzen? Schafft sie das noch? Sie ist nicht mehr die Jüngste. Ganz unten im Wagen sind die Packungen Klopapier versteckt. Alles kann ich nicht erkennen aber der Einkauf kommt mir nicht besonders umweltkonform vor.

Kehr erstmal vor deiner eigenen Haustür.“ rede ich mit mir selbst. Meine Taschentücher haben heute auch keinen blauen Engel. Es sind Original-Tempos. Sonst war nichts mehr da.

Zu meiner Entschuldigung sage ich mir, dass das ein Notfall ist und ich normalerweise meine Nase oder meinen Po nicht mit dem brasilianischen Regenwald abwische.

 

Ich muss jedenfalls sehr intensiv in ihren Wagen gestarrt haben, denn sie dreht sich plötzlich zu mir um und weist mich schnippisch auf den Mindestabstand von 1,5 Metern hin.

Den Sie gerade nicht einhalten“ sage ich und bemühe mich, freundlich zu bleiben.

„Wer hält den nicht ein?“ bellt sie mich an. „Hinten hab ich keine Augen. Für diesen Abstand sind Sie verantwortlich.“ Ich kann es nicht fassen und bin innerlich sofort auf 180 und auf mehr, als 150 Abstand.

Würden Sie denn jetzt endlich mal einen Schritt zurück gehen?“ Ihr Ton wird strenger. „Hören Sie, Sie haben sich vorgedrängelt. Vielleicht haben Sie auch vorne keine Augen?“

„Jetzt steh ich aber schon mal hier. Der Schritt zurück wird ja nicht so schwer für Sie sein. Sie befinden sich zu dicht hinter mir. Das ist verantwortungslos.“ „Verantwortungslos ist jawohl eher der Inhalt in Ihrem Wagen.“ schnaufe ich. „Der Inhalt meines Wagens geht Sie gar nichts an.“

Doch! denke ich und reiße mich zusammen. Sie ist inzwischen dran und hievt ihren Karton mit pestizidverseuchtem Kaffee aufs Band. Zu dumm, dass er Menschen und Grundwasser in Nicaragua mehr vergiftet, als meine neue Freundin vor mir am Einkaufsband, auf dem sich die Plastikverpackungen immer höher stapeln.

Sie plaudert mit der Kassiererin und klagt. „Bald ist auch kein Geld mehr da. Dann liegt alles brach.“ „Und bis es soweit ist, geben Sie es schnell noch aus? Wollen Sie mit dem Klopapier den Reichstag verhüllen?“ Es ist mir schon wieder rausgerutscht, ich kann nicht anders.

„Was kann ich denn dafür, wenn Sie zu doof sind, vorzusorgen?“ schnippt sie in meine Richtung und wirft ihren Einkauf wild vom Band zurück in den Wagen. „Von welcher Vorsorge sprechen Sie? Von der für andere oder von der, bei der Sie vor allen anderen in der ersten Reihe stehen? So, wie jetzt vor mir?“ Sie guckt mich verständnislos an.

Ich erkläre es ihr. „Wissen Sie, mit dem Klopapier ist es genau, wie mit dem Geld. Nicht deshalb, weil Klopapier jetzt zu Geld gemacht wird, sondern, weil es mit seinem Verschwinden aus den Regalen nicht weniger geworden – sondern nur ungerecht verteilt ist. Was Sie zuviel haben, fehlt den Anderen, die jetzt tatsächlich keins mehr haben. Verkaufen Sie Ihre Packungen dann in einem Jahr auf dem Flohmarkt oder jetzt schon im Netz, damit Ihnen das Geld nicht ausgeht?“ Ich bin laut geworden und schiele unauffällig zu dem Wachposten am Eingang. Ich werde immer laut, wenn ich mich aufrege.

Die Frau starrt mich an. Ihr scheint nichts dazu einzufallen. Oder versteht sie meine Ausführungen nicht?

Ich erkläre es ihr genauer. „So ist das mit unserem Wohlstand. Unsere Regale bersten, wir verfügen über den Luxus, Lebensmittel retten zu müssen, weil sie sonst auf dem Müll landen und woanders sind leere Regale, die uns hier und jetzt in solchen Aufruhr versetzen, Alltag. Überbordender Reichtum schafft an anderer Stelle Armut und Krieg. Was Sie eigentlich ja aber wissen sollten. Und deshalb dürfen Sie nicht so eine Scheiße kaufen und schon gar nicht in diesen Mengen und sich erst recht nicht wundern, wenn ihr Geld alle ist.“ Ich hole Luft und frage mich, ob ich sie angespuckt hab. Aber das geht ja gar nicht, fällt mir dann ein. Ich kann ja höchstens mich selbst anspucken. Ihren Gesichtsausdruck kann ich hinter der Maske nicht deuten aber jetzt komme ich mir plötzlich oberlehrerhaft vor.

„Hier ist ja Krieg.“ kommt es durch den Mundschutz. Ernsthaft jetzt? „Aha?“ entfährt es mir einfallslos. Wie diskutiert man mit einer Wand?

Das Haus in der Innenstadt wurde nicht zerbombt, sondern abgerissen.“ kann ich sie beruhigen. „Das weiß ich doch.“ höre ich es dumpf murmeln. Das weiß sie doch.

Kriegsähnliche Zustände sind wie Krieg. Da muss jeder sehen, wo er bleibt.“

 Jetzt hat sie sich verraten. Was soll ich sagen.

Egoisten setzen immer bedenkenlos ihre Machenschaften durch. Im kleinen, wie im großen Stil. Vor mir steht ein Exemplar, das im kleinen Stil eine große Welle auslöst, die über die Welt verteilt, Nachahmer ausspuckt und fehlende Hirnzellen sichtbar macht. „Ihnen ist aber schon klar, dass sie diese Zustände gerade selber schaffen und dass genau ihr Verhalten Konflikte auslösen kann?“ gifte ich sie an und so langsam ist es mir auch egal, wie dozentenhaft das alles klingt.

Im Gegensatz zu mir bleibt sie jetzt ganz ruhig. Sie fühlt sich im Recht. „Die Videobotschaften, die ich verschicke lösen ganz bestimmt keine Konflikte aus. Im Gegenteil. Das sind sehr friedvolle, harmonische, kleine Filme voller Hoffnung."

Na, klar, denke ich. Die fehlen jetzt noch. Ich unterdrücke einen Brechreiz. Die niedlichen, kleinen Freundschaftsvideos, die neuerdings auch mein Smartphone vergiften... die verschickt sie also. Ich sage ihr nicht, dass die mich hochgradig aggressiv machen. Von wegen friedvoll. Wie passt diese, vor geheuchelter Mitmenschlichkeit überschwappende Schleimwelle zu den Prügeleien um Klopapier?

Ich schaue mit leerem Blick zu dem wieder überfüllten Einkaufswagen, der unschuldig in anderthalb Metern Entfernung vor mir steht und zum zweiten Mal an diesem Tag geht mir ein Licht auf.

Natürlich passt das alles zusammen. Denn neben dem Wagen befindet sich ja der lebende Beweis dafür, dass sich verantwortungslose Dummheit personifizieren kann und sich auch noch als political correct und solidarisch ausgibt, wenn sie neue Gesetze nicht hinterfragt und auf neuen Wellen mitschwimmt.

Ich reiße mich zusammen. Ich will ja keinen Krieg auslösen.

Sie bezahlt und verabschiedet sich von der Kassiererin mit den Worten, dass sie nach der Krise erstmal nach Dubai fliege, um das Leben wieder zu spüren.

Ja, denk ich. Genau! Nach der Krise lassen wir es wieder ordentlich krachen. Weil wir es dann  ja wieder können. Immer schön Verschwendungssucht mit Lebenslust verwechseln und nichts lernen aus einem vielleicht stillen Blick in unseren Überlebenswillen. Wenn wir dort nur Klopapier sehen, kommen wir natürlich nicht über unseren Tellerrand hinaus. Mit soviel Desinfektionsmittel im Einkaufswagen ist die Sicht versperrt. Fehlt jetzt nur noch, dass sie mich beim Security-Hünen denunziert, weil ich keinen Abstand gehalten hab. Moment... Den hab ich ja gehalten. Meine Nerven liegen blank.

Sie brauchen erst den Supergau, um aktiv zu werden, oder?“ brülle ich ihr hinterher. Wieso kann ich es nicht auf sich beruhen lassen?

Sie kommt zurück und reißt sich ihren feuchten Mundschutz runter. Der Hüne ist irritiert. Hoffentlich nimmt er sie fest. „Sie sind doch die Passive mit ihrer lächerlichen Packung Taschentücher. Was wollen Sie überhaupt von mir? Ich halt mich an die neuen Regeln, im Gegensatz zu Ihnen.“ brüllt sie zurück und mir platzt jetzt endgültig der Kragen. „Erstens haben Sie sich vorhin vorgedrängelt, zweitens meine ich mit Supergau nicht das Wegbrechen unserer Spaßgesellschaft und drittens sollte selbst Ihnen durch diese Krise klar werden, dass auf der Welt alles zusammenhängt und dass wir Teil davon sind mit jedem kleinen Schritt, den wir tun.“ „Aber das weiß ich doch.“ Aber das weiß sie doch. „Und wieso ist ihr Einkaufswagen dann voller Billigfleisch, Plastik, Nestlée und Co? Von den großen Mengen mal ganz zu schweigen. Vermutlich stopfen sie das alles gleich in den riesigen Kofferraum einer PS verseuchten Dreckschleuder, ohne die sie nicht auszukommen glauben.“

Es entsteht eine Pause.

Ok, das mit der Dreckschleuder war mal so dahingesagt. Ich hab auch meine Vorurteile.

Jetzt hab ich Sie durchschaut.“ keift sie dann. „Endlich“, denk ich.

Sie gehören zu der Sorte, die den Klimakollaps voraussagt. Und weil Sie den in den Sternen lesen, wollen Sie doch jetzt bestimmt, dass es weniger Straßenbeleuchtung gibt, ich im Winter meine Heizung auf Null drehe und ganze Fußballspiele abgesagt werden. Stimmts?“ Sie hats kapiert. Geht doch. „Nicht in den Sternen. Der Blick aus dem Fenster reicht. Und Null muss nicht sein. Aber die Sache mit den Straßenlaternen ist eine gute Idee.“ keife ich zurück. „Wahrscheinlich würden Sie am liebsten auch alle Schulen schließen und verbieten, dass man noch vor die Tür geht.“ Sie kommt in Fahrt. „Die Schulen müssen nicht geschlossen werden, um das Klima zu retten.“ kontere ich und frage mich, ob ihr gerade klar wird, was sie da gesagt hat.

Nichts wird ihr klar. Sie lauert siegessicher hinter ihrem Wagen. Also helfe ich ihr auf die Sprünge. „Muss die Klimakrise erst durch Verbote sichtbar werden, damit wir nicht darauf warten, bis Waldbrände, Wassermangel und Lebensmittelknappheit bei uns angekommen sind, bis wir was tun? Und was tun wir dann? Die Regale leer hamstern?“ Ich schiebe mich ohne Sicherheitsabstand an ihr vorbei, weil der Security-Typ mir im Weg steht. Und rufe nach hinten über meine Schulter:

Die Krise wird etwas in uns verankern, das außerhalb von Immunität gegen dieses Virus liegt.“

Ich bin stolz auf meine neuen Erkenntnisse und drehe mich zu ihr um. Zwischen uns der Sicherheitsmensch mitsamt Sicherheitsabstand. Das Dozieren macht gerade richtig Spaß. „Vielleicht schafft diese Situation ein Wunder und wir wachen auf aus unserem oberflächlichen, am Stresslimit gebauten Traum von Karriereaufstieg, Industrialisierungs - und Wirtschaftswachstum, in dem wir nur uns selbst im Blick haben und dabei übersehen, dass unser verschwenderischer Lebensstil an anderer Stelle zu Not führt, der Umwelt schadet und Kriege auslöst.“

„Sie wiederholen sich.“ kommt es nur gepresst aus ihrem schutzlosen Mund.

„Ich weiß“, sage ich und gehe.

Immerhin hat sie wenigstens bemerkt, dass ich mich wiederhole. Gern geschehen.

Nach Dubai wird sie wohl vermutlich trotzdem fliegen, wenn sie wieder darf. Tja... Selber schuld. Dann ist sie eben nicht Teil davon. Teil des Wunders, das diese Krise auslösen kann. Vielleicht ist durch dieses Wunder der Flug dann aber so teuer, wie er es schon immer hätte sein sollen und sie kann ihn sich nicht mehr leisten.

Es besteht noch Hoffnung.

 

 

Ein Text von Christine Bretz

 

 


Zum Glück gibts BTS

 

Zu dem Bericht von “ RTL- Explosiv“ über die K-Pop-Gruppe BTS im Oktober 2018

 

 

RTL hat in dem Nachrichtenformat „Explosiv“ einen kurzen Beitrag über die K-Pop-Gruppe BTS gesendet, in der sowohl die Gruppe, als auch die Fans so dargestellt werden, als könnte man sie nicht ernst nehmen.

Mal ganz ehrlich. Wenn ein Sender, wie RTL, den nicht Inhalte, sondern Einschaltquoten interessieren, eine Musikgruppe und ihre Fans schlecht macht, kann diese Gruppe nur gut sein.

Jeder gebildete Mensch, der BTS noch nicht kennt, muss jetzt auf die Gruppe aufmerksam werden und feststellen, dass ein Song dieser Band („Sea“ , „Tomorrow“, „Lost“ usw. ...) mehr Inhalt hat, als RTL in seinem gesamten Programm.

Aber dieser Vergleich hinkt schon deshalb, weil man BTS nicht mit einem Sender vergleichen kann, der den Menschen das Bewusstsein für Glück raubt.

Denn BTS gibt ihnen genau dieses Bewusstsein zurück.

Kim Namjoon hat in seiner Rede bei der UN gesagt, dass sein Herz aufgehört hat, zu schlagen, als er mit neun oder zehn Jahren begonnen hat, sich mit den Augen der Anderen zu sehen.

An diesen Punkt gelangen wir früher oder später alle einmal und es ist nicht leicht, dann bei sich selbst zu bleiben, vor allem, wenn das, was wir uns wünschen oder wovon wir träumen, außerhalb der Norm liegt.

Dass wir selber die Norm bestimmen können, zeigt uns BTS.

Das Herz des Bandleaders hat durch seine Kunst wieder zu schlagen begonnen und mit ihm, das, von tausenden von Menschen, denn die Musik von BTS bringt sie dazu, diesen Punkt des Stillstands zu überwinden.

Die Band, die sehr klein angefangen hat, hat es geschafft. Sie ist erfolgreich. Und sie hat etwas zu sagen, egal ob ein Management dahinter steckt oder nicht.

Und das, was die Jungs sagen und auch zeigen, macht Mut. Mut, zu sich selbst und seinen Träumen zu stehen. Mut, seinen eigenen Weg zu gehen, egal wie viele Steine darauf liegen. Und Mut, seiner eigenen Kreativität zu trauen und Gedanken weiter zu denken, auch wenn sie noch nie da waren, denn ihre Texte zeigen, dass man mit diesen Gedanken nicht alleine ist.

Sie verleihen Flügel und Zuversicht. Sie wecken Interesse an Literatur und Kunst ( Hesse, Klimt, van Gogh...) und sind dabei auch noch unglaublich witzig und natürlich.

Es ist einfach großartig, dass sie so vielen Menschen aus der Seele sprechen. Denn das zeigt, dass diese Menschen, trotz Sendern, wie RTL, ihre Sehnsucht nicht verloren haben.

Wenn alle Fans sich selbst nicht nur erkennen, sondern auch für sich sprechen und handeln, wird die Welt in Zukunft eine glücklichere sein.

Denn das würde bedeuten, dass niemand mehr seinen Beruf erzwungen in einem Fragebogen der Berufsberatung auswählt, sondern sich Zeit dafür nimmt, zu suchen. Nach sich selbst und nach dem, was er am besten kann und was ihn glücklich macht.

Die Jungs von BTS machen das nicht nur vor, sondern rufen auch dazu auf. In Videoaufnahmen oder in der eben zitierten Rede und natürlich in ihren Liedern. Die man im übrigen auch dann verstehen kann, wenn man nicht Koreanisch spricht, weil es unzählige Übersetzungen gibt.

Aber, wer weiß.. Vielleicht ist Englisch für den Sender RTL auch schon eine zu fremde Fremdsprache. Man weiß es nicht.

 

Christine Bretz


integration durch Kunst

 

Kunst und das, was sie in uns hervorrufen kann, hat einen viel zu kleinen Stellenwert in unserer Gesellschaft.

 

Leistungsdruck, Karriere – und Profitdenken verdrängen das aus unserem Leben, was für unser Glücksempfinden so wichtig ist: Zeit für Bilder, Gedichte, für Tanz und Gesang, für Kreativität, für ein unbeschwertes Miteinander, in dem Vielfalt von selbst entsteht, weil jede Idee so verschieden von der anderen ist, wie die Menschen, die sie haben, sich voneinander unterscheiden. Völlig unabhängig davon, ob sie aus unterschiedlichen Kulturen kommen oder nicht.

 

Kunst, egal ob Schauspiel, Tanz, Gesang, Musik im weitesten Sinne oder Bildende Kunst gilt oberflächlich als Spaß, der verzichtbar ist, weil die Meinung vorherrscht, dass Kunst für den Broterwerb meistens nichts – oder kaum etwas nützt.

Es scheint höchstens unserem Image etwas zu bringen, wenn wir ein Instrument spielen können. Die Kinder erhalten Unterricht, weil das zum guten Ton gehört, nicht weil sie ihre Kreativität darin ausleben können.

In den meisten Schulen wird Kunst und Musik klein geschrieben und sogar im Wechsel unterrichtet. Schüler melden sich in ihrer Freizeit reihenweise aus kreativen Kursen ab, weil die Schule ihnen kaum Zeit und Freiheiten lässt für ihre Hobbys.

 Die Ausnahmen davon gibt es natürlich, sonst gäbe es keine solcher Kurse mehr, aber die Tendenz geht leider sehr stark in die beschriebene Richtung.

 

Von den meisten Menschen also nicht ernst genommen, unterschätzt man, was dieser Bereich Großes leisten kann.

 Um es mit den Worten des Bildhauers Auguste Rodin zu sagen:

Die Kunst verkündet den Menschen ihre Daseinsberechtigung. Sie enthüllt ihnen den Sinn des Lebens, sie klärt sie über ihre Bestimmung auf und lässt sie in ihrer Existenz sich zurechtfinden.“

Was könnte also nützlicher sein, als Kunst? Vor allem in einer Zeit, in der wir verbitterten, vom Leben enttäuschten Menschen klar machen müssen, dass Vielfalt etwas Wunderbares ist und nichts, vor dem man sich fürchten muss.

 

Wir gestalten Themenabende und gehen zu Podiumsdiskussionen. Wir bemühen uns, Dinge zu verbessern, damit Integration gelingt. An solchen Abenden geht unser Kopf mit dem Titel und der Theorie meistens voraus, das Herz stolpert hinterher und vermisst etwas Wesentliches, was es aber nicht sofort benennen kann.

Am Schluss steht die Frage: Hat unser Reden etwas genützt und wenn ja, wem? Oder haben wir es nur zerredet, das Thema...

Vielfalt als Chance“: Drei Worte die auch lauten könnten: „Wasser als Lebensgrundlage“ oder „Luft heißt Leben“.

Wir dürfen die Chance in der Vielfalt gar nicht infrage stellen. Vielfalt bedeutet Leben. Also nehmen wir doch die Chance zum leben wahr... Müssen wir darüber reden?

 

Die Kunst lebt von der Vielfalt. Beim gemeinsamen kreativen Schaffen findet dauernd ein Austausch statt. Eine Idee baut auf der anderen auf, Ideen ergänzen sich, verbessern einander, vermischen sich. Wer das kennt, weiß wie Integration gelingen kann. Nicht einseitig, sondern durch diesen Austausch, dieses gegenseitige sich ineinander Fügen oder gegenseitiges sich Einfügen.

Ein Austausch, bei dem man sich mal mehr auf der einen, mal auf der anderen Seite trifft und mal in der Mitte.

 

Statt zu reden, sollten wir also mehr gemeinsam kreativ tätig werden. Dann weiß unser Herz, wie Integration funktioniert und kann es an unseren Kopf weiterleiten, wenn wir wieder in einer Podiumsdiskussion sitzen...

Unsere Reden über Integration bringen gar nichts, wenn wir mit Integration meinen, dass sie einseitig vonstatten gehen muss. Nicht nur die Menschen, die zu uns kommen, müssen sich öffnen, um Teil unserer Gesellschaft zu werden. Wir müssen uns für sie auch öffnen. Öffnen für ihre Kulturen, die uns fremd sind, wir müssen neugierig sein, kennenlernen wollen.

Dazu gehört, dass wir uns nicht immer selbst als Maßstab sehen und Verhaltensweisen, die wir nicht kennen, auch mal aushalten. Integration also durch gegenseitiges Öffnen füreinander und durch gegenseitigen Respekt, damit Pluralität möglich wird.

Wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen, können wir voneinander lernen und uns austauschen mit dem Wissen, dass unsere Begegnungen uns gegenseitig bereichern, weil durch Reibung etwas Neues entsteht.

Auf Augenhöhe bedeutet, dass dieses Aushalten natürlich nicht endlos ausdehnbar ist, was bedeutet, dass ich meine Grenzen aufzeige und die meines Gegenübers akzeptiere, wozu gehört, dass ich Kritik ausübe – und annehme, weil ich mein Gegenüber respektiere. Wie bei einer Theaterprobe und immer auf der Grundlage von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie.

 

Ganz normal also, eigentlich nicht erwähnenswert.

Genau, wie es eigentlich nicht erwähnenswert ist, dass Vielfalt eine Chance ist.

 

Menschen sind Individuen. Jeder ist anders. Wenn dabei noch unterschiedliche Kulturen im Hintergrund stehen, um so besser. Je mehr Kulturen, desto mehr von all dem Neuen, Bereichernden, Schönen, mit dem unser Herz gefüllt werden kann.

Denn genau dort beginnt Integration. Im Herzen.

Und wo kann ich mein Herz besser öffnen, als in der Kunst, die mir meine innere Freiheit aufzeigt und (wieder) gibt? Wo kann ich glücklicher sein, offener sein, als in einem geschützten Raum, in dem ich ohne Druck und Rechtfertigung, in meinem Tun ich sein darf? Auf diesem Fundament entsteht, im gemeinsamen kreativen Schaffen, gegenseitiges Vertrauen: die Basis für den Beginn von Integration.

Auf dieser Basis nur ist es möglich, kontrovers zu diskutieren.

 

Dieses gemeinsame kreative Schaffen und die Orte, wo es möglich ist, brauchen also einen viel höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft.

 

Meine Hoffnung ist, dass potentielle AfD-Wähler ihre Kinder in Musical-oder Schauspielkurse, in Musikschulen und zum Gesangsunterricht schicken, in Malkurse und ins Theater, damit diese Kinder mehr begreifen lernen, als ihre Eltern und glücklicher werden, freier, toleranter, neugierig auf Unbekanntes, offener. Ich wünsche ihnen den Mut, zum träumen, Raum für Sehnsucht und Poesie, damit die Bitterkeit verschwinden kann.

 

Denn mit Poesie im Herzen sucht man nicht nach Gründen, warum man vor dem Fremden Angst haben muss, sondern nach Wegen, dieses Fremde zu einem Teil eines neuen Ganzen zu machen, ohne Toleranz, Weltoffenheit, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte dabei in Frage zu stellen.

 

Claus Peymann hat es so gesagt:

Sie können mich ja für blöde halten. Aber ich glaube an das Theater als moralische Anstalt. Ich glaube an die Erziehbarkeit des Menschen durch Kunst, weil sich Kunst, wenn sie gut ist, mit dem Auffinden der Wahrheit beschäftigt, und zwar auf durchaus vergnügliche Weise. Das Theater ist dazu da, Feste hervorzubringen, damit das Gute, Wahre und Schöne gefeiert werde."

 

 

 Christine Bretz


Rede am 21.6.2018

 

Rede anlässlich der Veranstaltung von „Oberberg ist bunt“ am 21.6.2018 vor der Halle 32 in Gummersbach

 

 

In Gummersbach gibt es seit November 2016 eine Theatergruppe, in der sich Menschen aus aller Welt treffen, um Theater zu machen. Zugereiste und Einheimische.

Theater verbindet“ heißt die Gruppe und sie ist seit Januar 2107 in der Halle 32 zu Hause. Hier proben wir und hier haben wir unsere Aufführungen. „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ war bereits zweimal der Titel von zwei verschiedenen Shows, die auf dem Spielplan der Halle 32 standen.

Angelehnt an das Gedicht von Friedrich Holländer haben die Schauspieler ihre Wünsche auf Papier gebracht.

Ich möchte ein paar Wünsche vorlesen.

Ich wünsche einen großen Sturm, der alle Kriege von der Welt weg fegt. Ein starkes Beben dieser Erde wünsch ich mir, ein Erdloch, das den Krieg verschlingt, und einen Sturm, der sich nicht mehr legt, bis nur der Frieden übrig bleibt. Überall. Für alle Zeit.“ Das war der Wunsch einer jungen Frau aus Syrien.

Ich wünsche mir, in Frieden leben zu können. Ich möchte wieder mit meiner Familie zusammenleben. Und ich wünsche mir, dass Frauen und Männer überall auf der Welt gleichberechtigt sind. Alle Menschen sollen die gleichen, guten Lebensbedingungen haben.“ (Der Wunsch eines jungen Mannes aus Afghanistan.)

Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht ich etwas glücklich sein. Mit Licht und Wärme, Kinderlachen, mit Zeit und ohne Einsamkeit. Mit Stürmen, die uns Frieden bringen. Mit Freiheit und mit Sonnenschein. Mit Rechten, die für alle gelten, die Hass verhindern, Zusammenleben möglich machen. Hier bei uns und überall, in allen Welten.“

Der Schweizer Historiker und Publizist Daniele Ganser, der am 11. Juni in der Halle 32 zwei Vorträge gehalten hat, würde jetzt vielleicht sagen, dass diese Wünsche Frieden bringend sind, weil sie in ihrer Formulierung alle Menschen in die Menschheitsfamilie einschließen.

 

Wenn ich mir was wünschen dürfte, wünschte ich mir, ich könnte die AfD, die Taliban, NPD, CSU, Pegida und wie sie alle noch heißen auch als Teil dieser Menschheitsfamilie sehen. Es gelingt mir aber nicht. Vielleicht deshalb, weil sie sich selbst offensichtlich nicht als Teil dieses Ganzen wahrnehmen.

Warum es sie gibt, ist klar.

Der Grund sind nicht die Menschen, die zu uns kommen, sondern der Trend, seinem Egoismus in faschistischen Äußerungen freien Lauf zu lassen. Das nennen AfD und Co dann „Mut zur Wahrheit“. Was ist deren Wahrheit? Ihre Selbstgefälligkeit? Oder ihr Suchen nach Gründen, die nicht vorhanden sind, um ihre Wut auf sich selbst endlich erklären zu können?

 

Aber ob dieser Trend von Menschen betrieben wird, die seit 1945 nichts dazu gelernt haben und jetzt froh sind, sich nicht mehr verstellen zu müssen, ob es Parolennachplapperer sind, die den rechten Menschenfängern auf den Leim gehen oder die Menschenfänger selbst, spielt keine Rolle, denn in allen Fällen haben sie eine grundlegende Gemeinsamkeit: Sie teilen die Welt auf in ein „Wir“ und ein „Die Anderen“, sehen sich selbst als privilegiert an und weigern sich, zu helfen, denn sie sind ein Paradeprodukt unseres Wohlstands, in dem man nur mithalten kann, wenn man sich selbst an erster Stelle sieht.

 

Es hängt alles zusammen:

Unser Bildungssystem mit unseren Werten, unsere Werte hängen zusammen, mit unserer Art, zu leben, mit unserer Sicht auf die Dinge und unserem System, das uns diese Sicht schafft.

Wie wir die Welt sehen wirkt sich darauf aus, wie wir handeln und was wir in dieser Welt tun, wirkt sich aus auf die Welt. Wenn ich dabei chauvinistisch handele, führt das zu Ausbeutung, zu Flucht und Krieg.

Wenn ich bei Takko oder Kik billige Klamotten kaufe und mich nicht frage, wieso die so billig sind, hab ich nicht gelernt, Dinge zu hinterfragen. Wenn ich mich dann aber auch noch darüber beschwere, dass die Menschen, die diese Klamotten für einen Hungerlohn in ihrem Land genäht haben, als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge zu uns fliehen, dann hab ich den Zusammenhang nicht verstanden oder will ihn nicht verstehen. Bin ich dann dumm oder einfach nur verwöhnt und bequem?

Auf jeden Fall bin ich dann ignorant und froh über einfache Problemlösungen, die es im Angesicht einer humanitären Flüchtlingskatastrophe und komplexer, globaler Wirtschaftszusammenhänge aber nicht geben kann. Jeder ist gefragt, mitzuhelfen, denn die Welt ist ein Ganzes und das Land, in dem ich lebe, kommt nicht zuerst.

Nicht nur wir haben ein Recht auf Wohlstand. Wenn Menschen, die wir auf direktem oder indirektem Weg ausbeuten, zu uns fliehen, wollen die nicht unser Geld, sondern einfach ein glücklicheres Leben, das in ihrem Land nicht möglich ist, weil wir ihr Land zerstören.

Unser Geld steht ihnen sogar zu.

Wenn ich Wasser von Nestlé kaufe, sollte mir klar sein, dass das Wasser ist, das in Afrika einfach nur in Flaschen abgefüllt wird aus Quellen, die Nestlé nicht gehören, die diese Firma sich aber zu eigen macht, einfach nur, weil sie Geld und die Rücksichtslosigkeit besitzt, den Menschen vor Ort das Wasser abzugraben, um mit einem Gut, das allen gehört, Geld zu machen.

Geld... Man meint, es sei das fünfte Element für Leben, wenn man sich so umhört...

Eine Gesellschaft, die Reichtum als Maßstab für ein glückliches Leben vorsieht, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen, die diesen Maßstab nicht erfüllen können, das als Scheitern ansehen und einen Grund dafür suchen, der nicht bei ihnen selbst liegt.

Eine Gesellschaft, die in ihrem Schulsystem keinen Raum für Freizeit und Reflexion lässt, die Leistungsdruck groß – und Kunst klein schreibt, die darauf baut Fremdwissen im Schnelldurchlauf in die Schülerköpfe zu schaufeln und nicht weiß, wie sie G8 umsetzen – und G9 wieder durchsetzen soll, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen ungebildet bleiben und Geld mit Glück verwechseln; wenn sie Andere für sich denken lassen und an die einfachen Lösungen glauben, die eine Partei, wie die AfD ihnen vorgaukelt.

Wir dürfen uns über diese Blindheit nicht wundern. Wenn wir blind und unfähig sind, von unserem selbst erbauten Sockel runter zu steigen, können wir das Leben auch nicht aus Perspektiven betrachten, die unser Wohlstand nicht vorsieht und Empathie bleibt ein Fremdwort.

 

Deshalb sind alle Orte, in denen Theater, Kunst und Kultur stattfindet so wichtig, denn Kunst kann den Menschen ihre Daseinsberechtigung erklären und Theater bedeutet Bildung und Erziehung außerhalb der Schulbank. Die Halle 32 ist als Veranstaltungsort per se ein Mittel gegen die AfD. Und wer das nicht weiß, geht vermutlich nie ins Theater oder ins Konzert. Allein schon der Gang ins Theater, ins Musical oder ins Konzert ist ein Friedensmarsch und eine Stellungnahme gegen die AfD.

Also bitte: Diejenigen unter euch, die die Halle 32 diffamieren, lasst es sein! Hört auf damit! Damit begebt ihr euch nur auf AfD-Niveau. Und die AfD freut sich. Muss doch nicht sein.

Warum müssen wir so einen Wind darum machen, wann und wo die sich treffen? Feiern wir doch einfach Feste. Gemeinsam mit den zu uns geflohenen Menschen und unabhängig von dieser unnötigen Partei und zeigen den Menschen, wie schön, es sein kann, wenn fremde Kulturen nicht mehr fremd sind.

Wir dürfen auf keinen Fall durch Diffamierung einer Kulturstätte unsere Gesellschaft spalten. Spaltung gehört zu den Strategien der AfD.

 

Bleiben wir bei unseren Inhalten und sagen allen, die es hören müssen:

Wenn Menschen zu uns kommen, ob auf der Flucht vor Krieg oder vor Armut, sind wir verpflichtet, zu helfen. Punkt. Ende der Diskussion! Sie nehmen uns nichts weg, denn es ist genug für alle da. Wir haben sowieso schon viel zu viel.

Und wenn du arm bist, liegt das nicht an den Flüchtlingen, sondern daran, dass Andere zu reich sind. Da solltest du ansetzen mit deinem Protest.

Deine sogenannte Protestpartei verarscht dich!

Unrecht besteht. Ja. Aber völlig anders, als die AfD dir das sagt.

Rechte Parolen sind keine Meinungsfreiheit, sondern ein Verbrechen.

Deine Partei beruft sich auf etwas, was sie selbst als Vogelschiss bezeichnet.

Finde den Fehler.

 

Christine Bretz